Erfahrungsberichte von Übenden der Shakuhachi

Alfred Lerch, Adliswil

Shakuhachi spielen um die Sehnsucht zu stillen

Shakuhachi spielen um die Sehnsucht zu stillen

Es ist nun schon 7 Jahre her, da hatte ich mich entschieden, ein Musikinstrument zu lernen. Dabei liess ich mich einzig von der Vorstellung leiten, es soll eine Flöte sein. Ich begann zu suchen und als erstes sprach mich ein Kursangebot für Shakuhachi an. Über die Shakuhachi wusste ich damals nur, dass es eine japanische Bambusflöte ist.

Ich ging hin und war angenehm überrascht. Nach wenig einleitenden Worten trug der Lehrer ein erstes Stück vor. In Meditationshaltung am Boden sitzend, mit ritueller Handhabung und grosser innerer Ruhe begann er zu spielen. Es war ein einfaches, ruhiges Stück, sehr klar, ernsthaft, mit lang anhaltenden, reich verzierten Tönen. Der Klang der Flöte war vielfältig, voller Kraft und Bestimmtheit selbst in den leisesten Tönen. Diese Art zu spielen, der Klang der Flöte und die Musik gefielen mir so sehr, dass ich mich schon nach dem Zuhören von einem Stück entschied, dieses Instrument zu lernen.

Nach ein, zwei Jahren wurde mir dann klar, dass ich nicht nur ein Musikinstrument für mich gefunden hatte, sondern noch etwas anderes, wonach ich lange auf der Suche war.

Seit Jahren hatte ich gesucht, mein Bedürfnis nach Meditation und Rituellem im Alltag zu leben. Meine Suche führten mich von Tai-Chi, zu Qi-Gong, durch thailändische und schweizerische Klöster, in Meditations Retreats, zum Obertonsingen und auch in eine Zen-Bogenschützen Gruppe. Doch alles verlor sich wieder nach einiger Zeit.

Das Lernen der Shakuhachi gab mir nach und nach die Möglichkeit, diese tief in mir ruhenden Bedürfnisse zu leben. Meditation und Ritual fanden von da an ihren Ausdruck im Shakuhachi-Spiel.

Für mich ist es immer wieder ein „zur Ruhe“ kommen, wenn ich mich zum Flötenspielen hinsetzte. Das gibt mir die Kraft, die grosse Herausforderung des Lernens anzunehmen. Denn schon das Spielen eines einzigen Tons erfordert eine Vielzahl an Fertigkeiten.

Im Laufe der Jahre kommen bei den Herausforderungen auch Themen zum Vorschein, die über das Flötenspielen hinausgehen. Es sind Themen der Persönlichkeitsentwicklung, die sich im Spielen zeigen. Rhythmus, Bestimmtheit, Stetigkeit, Disziplin, Perfektion, Ehrgeiz, Kraft, Leichtigkeit, Wachheit, Sorgfalt, Freude und Freiheit hatten mich schon auf mehreren Ebenen beschäftigt. Die ganze Persönlichkeit kann sich zeigen, in der Auseinandersetzung mit der Shakuhachi und ihrer Musik.

Dies ist vielleicht der Grund, weshalb Zen Mönche diese Flöte als Hilfe auf Ihrem Weg wählten. Wer offene Ohren hat, hört schnell woran es beim Spiel mangelt, wo die Schwächen liegen. Die Parallelität zum Leben ist zwar nicht immer offensichtlich, doch oft lässt es sich Vermuten. Vor allem wenn es schwierige und wiederkehrende Themen sind. Wer bereit ist, kann sich selbst erkennen.

Ich betrachte diese Parallelität zwischen Flötenspielen und dem Alltag mit Interesse, aber ohne Absicht, was den Alltag betrifft. Beim Flöten spielen hingegen kann ich diese Themen durch üben, üben und nochmals üben angehen. Irgendwann gelingt der Schritt, wie von selbst, wenn ich nur lange genug dranbleibe. Nicht das Analysieren und Fragen nach Ursachen bringen Fortschritt und Veränderung, sondern immer wieder probieren, versuchen und das Ersinnen geeigneter Übungsmethoden. Ist der Schritt auf der Flöte gelungen, kann auch der Alltag von der neu erlernten Fähigkeit profitieren.

Die Motivation für diesen Weg entsteht aus der Freude beim Erleben der Fortschritte. Manchmal ist es nur ein kleines Detail, das gelingt, doch jedes erste Gelingen ist ein wunderbares, ja manchmal überwältigendes Gefühl.

Eine weiter Motivation ist das Erlebnis von Eins-sein. Das erlebe ich in Momenten, wenn der Klang geboren wird aus der inneren Stimmung heraus und der Körper, mit spielerischer Leichtigkeit, wie von selbst, alles Notwendige vollbring, den Atem über die Flöte in Klang zu verwandeln. Immer in unmittelbarer Gegenwart entwickelt sich die Melodie. Es fliest aus mir heraus. Frei von Denken. Absicht und Resultat sind gleichzeitig. Ich kann mir staunend zuhören und empfinde mich selbst als ein Instrument.

Seit ich diese Momente erlebe, entsteht auch eine Sehnsucht danach und zurzeit ist es diese Sehnsucht, die mich drängt, immer wieder hinzusitzen und die Flöte in die Hand zu nehmen.

Adliswil, August 2004
Alfred Lerch

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